Drehscheibe Nr. 83 September 2018

12 | Ausgabe 83 - September 2018 H I STOR I SCHE BETRACHTUNGEN / EU- SPEC I AL 1 Europas Eisenbahnen auf dem Weg zur strukturellen Vereinheitlichung Anlässlich des österreichischen Ratsvorsitzes betrachten wir in einer zweiteiligen Serie die Entwicklung des Eisenbahnwesens in der EU. Im ersten Teil beschäftigt sich der Experte MinR Mag. Klaus Gstetten- bauer mit den rechtlichen und struk- turellen Veränderungen im Eisen- bahnwesen nach dem EU-Beitritt Österreichs. Der Schienensektor war lange Zeit durch nationale Politik bestimmt, wo die Staa- ten Eigentümer ihrer Eisenbahnunter- nehmen und der Infrastrukturen waren und auch noch sind und wo unterschied- liche Interessensverbände ihren Einfluss geltend machen. Einen ersten Impuls zu einer „erzwungenen“ gemeinsamen Ver- kehrspolitik setzte das Urteil des Euro- päischen Gerichtshofes vom 22. Mai 1985, wonach dieser den Rat wegen Untätigkeit hinsichtlich der Erlassung gemeinschaftlicher Verkehrsregelungen verurteilte. „Renaissance“ des Eisenbahnsektors der Gemeinschaft Die Kommission erließ in den 1990iger Jahren des vorigen Jahrhunderts daher v. a. die Richtlinie 91/440/EWG, wonach die Unternehmen ihre Geschäftsbereiche Infrastruktur und Verkehrsbetrieb buch- halterisch trennen mussten. Die Richt- linie 95/18/EG, die erstmals einheitliche Kriterien für Europakonzessionen nor- mierte, und die Richtlinie 95/19/EG, die die Kriterien für die Trassenzuweisung, für die Berechnung und Einhebung des Infrastrukturbenutzungsentgeltes sowie die Einrichtung einer Schienenregulie- rungsstelle festlegte, ergänzten einander und bildeten mit der Richtlinie 91/440/ EWG die Basis für das „Erste Eisenbahn- paket im Jahre 2001. Zwei weitere „Ei- senbahnpakete“ folgten, eines aus dem Jahre 2004, worin im Wesentlichen die technische Harmonisierung und die voll- ständige Marktöffnung im Frachtverkehr vorangetrieben sowie die Rechtsgrund- lage für die Errichtung einer Europäi- schen Eisenbahnagentur festgeschrie- ben wurden und eines aus dem Jahre 2007, mit dem Lok- und Triebfahrzeug- lenkberechtigungen harmonisiert sowie Liberalisierungen im grenzüberschrei- tenden Personenverkehr und schließlich Rechte und Pflichten für Fahrgäste ein- geführt wurden. Mit der ebenfalls 2007 erlassenen Verordnung hinsichtlich der Neuorientierung der gemeinwirtschaft- lichen Leistungen wird auch im öffentli- chen Personenverkehr auf der Schiene und auf der Straße (Busdienste) ein ge- wisser kontrollierter Wettbewerb ein- geführt. Im Jahre 2012 wurde mit der so genannten „Recast Richtlinie“ eine Harmonisierung des ersten Eisenbahn- paketes vorgenommen (Neufassung im Englischen als „recast“ bezeichnet). Das IV. Eisenbahnpaket als „Höhepunkt“ der EU-Bahnreformen Dieses Paket besteht grundsätzlich aus einer sogenannten „technischen Säule“ und einer „marktrelevanten Säule“. Die Zielsetzung dieser Bahnreform ist es, einerseits die Organisation der Eisen- bahnunternehmen weiter zu straffen und andererseits durch eine Strukturreform der Europäischen Eisenbahnagentur, mit Sitz in Valenciennes in Frankreich, eine Durch den EU-Beitritt ergaben sich umfangreiche Veränderungen im Eisenbahnwesen

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