Drehscheibe Nr. 81 März 2018

12 | Ausgabe 81 - März 2018 H I STOR I SCHE BETRACHTUNGEN In den ersten Jahrzehnten nach Erfindung der Eisenbahn waren Wagen in Verwen- dung, bei denen der Zutritt zum Abteil nur während des Aufenthaltes auf Bahn- höfen möglich war. Es entstand bei den Reisenden daher bald ein Bedürfnis nach Zugang zu sanitären Einrichtungen und der Wunsch nach einer Möglichkeit zum Erwerb und Verzehr von Speisen oder Getränken. Die Bahnverwal- tungen richteten daher v. a. bei Ausgangs- und Endstationen ei- ner Bahn oder an bedeutenden Zwischen- und Anschlussstatio- nen für die Fahrgäste geeignete Lokalitäten in den Aufnahmege- bäuden ein. Mittags wurden so- gar längere, fahrplanmäßige Auf- enthalte eingeplant. Auf größeren Stationen war es üblich, für die verschiedenen Wagenklassen ge- trennte Lokalitäten einzurichten, auf kleineren Stationen hingegen gab es auch Kombinationen des War- tesaales mit einer Wirtschaft. Auch die Graz-Köflacher Bahn hatte früher eine große Zahl von Bahnhöfen, viele davon mit Bahnhofs(gast)wirtschaften. Eine Rei- se aus der Weststeiermark in die Welt war noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts keine Selbstverständlichkeit, sondern stellte eine Besonderheit dar. Durch die spezielle Lage an einem Verkehrsknoten- punkt bzw. am Rand der weststeirischen Ortschaften wurden diese besonderen Gastronomiebetriebe ein zentraler Faktor der Volkskultur. Die Bahnhöfe und ihre Gastwirtschaften waren Schauplätze des Abfahrens und des Ankommens. Sonderstellung und Kultfaktor Die Bahnhofsgaststätten, zu denen zu- erst ausschließlich Reisende Zutritt hat- ten, waren lange Zeit keine Gewerbebe- triebe im Sinne der Gewerbeordnung und unterlagen daher auch nicht der Sperr- stunde. Die Gaststätten galten vielmehr als Teil des Eisenbahnbetriebs, wurden vom Bahnbetreiber eingerichtet und zu- meist im Wege der Ausschreibung an Wirte verpachtet. Damit die Reisen- den preislich nicht übervorteilt wur- den, war eine Preisliste vorgeschrie- ben und der Pächter musste für die Festlegung der Preise die Billigung des Stationsvorstandes einholen. Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Bahnhofswirtschaft bzw. die Bahn- hofsrestauration, von den Eisenbahnern auch liebevoll „Reste“ genannt, zum sozi- alen Dreh- und Angelpunkt des Soziallebens auf den Bahnhöfen. Fahrgäste, Be- gleitpersonen, Anwohner und Anwohnerinnen, Eisenbahner, Bahnhofsmitarbeiter und ihre An- gehörigen u. v. a. m. nutzten die Bahnhofsgastwirtschaft für ein letztes bzw. erstes Beisammen- sein oder eine schnelle Einkehr. Die Bahnhofsrestauration erlang- te Kultstatus und wurde auch in der Kunst, Kultur und Literatur rezipiert. Die langen Öffnungszeiten, die vielen Menschen und die oft dezentrale Lage zogen aber auch dubiose oder kriminel- le Personenkreise an, insbesondere bei großen Bahnhöfen. Die Indienststellung der ersten Speisewagen bedrohte die monopolähnliche Stellung der Bahnhofs- wirte bei der Versorgung der Reisenden, daher durften Speisewagen zunächst nur von den Fahrgästen der Polsterklassen, also der seinerzeitigen 1. und 2. Klasse, genutzt werden. Außerdem erhielten die Betreiber von Bahnhofsrestaurationen von den Bahngesellschaften teilweise die Erlaubnis zur Bewirtschaftung von Spei- sewagen. Lange Zeit blieben Speisewa- gen und fliegende Händler/innen die ein- zige, echte Konkurrenz. Eine kleine Kulturgeschichte der Bahnhofsrestauration Viktorianischer Abteilwagen mit Seitentüren Die Bahnhofsrestauration oder Bahnhofsgastwirtschaft, in Österreich und der Schweiz auch Bahnhofbuffet ge- nannt, war früher elementarer Bestandteil einer Bahnreise. In der Weststeiermark waren die Bahnhofsgastwirt- schaften zudem sozialer Treff- und Angelpunkt, für die Menschen in der Region und die Reisenden. Historische Bahnhofsrestauration von Györ in Ungarn

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