Drehscheibe Nr. 106 Juni 2024

9 Ausgabe 106 - Juni 2024 | auf europäischer Ebene bringt daher ein besseres Angebot, zu niedrigeren Kosten. Drehscheibe: Schlussendlich soll dadurch ein einheitlicher europäischer Eisenbahnraum entstehen – Was darf man sich darunter vorstellen? EXDIR Doppelbauer: Der einheitliche europäische Eisenbahnraum beschreibt eine Situation, in der Eisenbahnverkehrsunternehmen mit geringstem technischen und organisatorischen Aufwand inner-europäische Grenzen auf einem leistungsfähigen und weit verzweigten Schienennetz überschreiten können. Damit bringen wir nicht nur die Bürger Europas näher zusammen, sondern erlauben auch den Eisenbahnunternehmen, kosteneffizienter zu arbeiten. Denn einheitliche technische Regeln bedeuten auch, dass die Hersteller das Rollmaterial in größeren Mengen einheitlich für einen größeren Markt herstellen können, und die Kosten damit sinken und der Wiederverkaufswert steigt. Am Beispiel des Flugverkehrs sieht man sehr deutlich, welche Effizienz durch harmonisierte technische Ausrüstung erzielt werden kann. Drehscheibe: Welche Rolle werden in diesem großen einheitlichen europäischen Eisenbahnraum, die nationalen oder gar kleine regionale Mobilitätsdienstleister - wie die GKB - spielen? EXDIR Doppelbauer: Nationale und regionale Mobilitätsdienstleister bringen das Produkt Bahn zum Kunden! Projekte wie das „Jahrhundertprojekt“ der GKB sind enorm wichtig für das Gesamtkonstrukt des europäischen Eisenbahnraums, denn es stellt nicht nur sicher, dass ein attraktives Mobilitätsangebot in die Regionen getragen wird – es schafft auch neue wirtschaftliche Anreize, optimiert Fahrplanverknüpfungen auch mit anderen Verkehrsträgern (im Falle der GKB mit Bussen), und erhöht im Übrigen auch die Sicherheit, Umweltfreundlichkeit und Wirtschaftlichkeit des Bahnbetriebs. Im Jahrhundertprojekt werden 80 Eisenbahnkreuzungen modernisiert und sicherheitstechnisch auf den neuesten Stand gebracht. Wir bei der ERA können gar nicht oft genug betonen, wie wichtig moderne Bahnübergänge für die operative Sicherheit sind. Die Elektrifizierung der Strecke wird einen sehr positiven Effekt auf die Klimabilanz der gesamten Region haben, und moderne Zugsicherungssysteme erlauben sichere und leistungsfähigere Operationen. Insofern ist der Name „Jahrhundertprojekt“ sehr gut gewählt, da ein solches Projekt langfristig positive Auswirkungen auf die ganze Region haben wird. Drehscheibe: Am 9. Juni 2024 haben die Wahlen zum EU-Parlament stattgefunden – Welche Verkehrspolitik wünscht sich der Experte in Zukunft von der Europäischen Union? EXDIR Doppelbauer: Ganz einfach – gerade von der europäischen Politik würde ich erwarten, dass man den langfristigen Wert von Investitionen in die Eisenbahnen erkennt – wie es sich sehr gut am Beispiel des Jahrhundertprojekts zeigt. Investitionen in die Bahn machen das europäische Verkehrssystem auch krisenfester. Das Projekt Europa steht vor großen geopolitischen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Die müssen wir gemeinsam meistern und neben dem ganzen Krisenmanagement aber nie vergessen, dass die Auswirkungen der größten Krise – der Klimakrise – sich noch gar nicht in vollem Umfang gezeigt haben. Wer den Verkehrssektor Europas umweltfreundlich machen will, braucht die Bahn! Und die Bahn braucht europäisches Denken. In diesem Sinne werden wir auch nach dem 9. Juni weiter an unseren Zielen arbeiten. Drehscheibe: Die Redaktion der Drehscheibe dankt für das Interview! Der 65-jährige Josef Doppelbauer (rechts im Bild) absolvierte ursprünglich ein Studium der Technischen Physik an der Linzer Johannes Kepler Universität und promovierte ebendort im Jahr 1987. Danach begann Dipl.-Ing. Dr. Doppelbauer beim AlcatelELIN Forschungszentrum in Wien. Nach mehreren technischen Funktionen und Positionen im Management von Alcatel in Österreich, übernahm der Oberösterreicher von 2001 bis 2002 die Aufgaben eines Chief Technical Officer von Alcatel Transport Automation Solutions in Paris. Im Dezember 2002 wechselte Dr. Doppelbauer zu Bombardier Transportation, wo er zunächst im schwedischen Stockholm und im englischen Reading als Vice President und President der Division Rail Control Solutions tätig war. Im Jahr 2008 erfolgte der Wechsel ins Hauptquartier von Bombardier Transportation in Berlin, wo er zum Vice President of Project Management und Chief Technical Officer aufstieg. Schließlich bekleidete er dort die Funktion eines Vice President Research and Technology. Seit Jänner 2015 ist der Bahnexperte Dipl.-Ing. Dr. Josef Doppelbauer als erster Österreicher Executive Director of the European Union Agency for Railways, also geschäftsführender Direktor der Eisenbahnagentur der Europäischen Union - kurz ERA - mit Sitz im französischen Valenciennes. Executive Director Dr. Josef Doppelbauer | INTERVIEW

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