Drehscheibe Nr. 106 Juni 2024

26 | Ausgabe 106 - Juni 2024 REISEN | Vision einer Reise nach Afrika ca und von dort weiter nach Marrakesch fahren. Aber auch schnellere Verbindungen zwischen Madrid, Algier und Tunis wären durch den Tunnel möglich. Großbritannien ist interessiert Nicht nur Spanien und Marokko haben Interesse an dem Projekt. Auch Großbritannien hat bereits Interesse daran bekundet. Das Land besitzt mit Gibraltar, einer Landzunge an der Südküste Spaniens, ein eigenes Überseegebiet – ein Umstand, der in der Vergangenheit immer wieder zu Streitereien zwischen Spanien und Großbritannien geführt hat, wenn es etwa um die Hoheitsrechte vor der Küste Gibraltars ging. Für Großbritannien wäre der Eisenbahntunnel eine Möglichkeit, nach dem Brexit eine stärkere Beziehung zu Marokko und anderen afrikanischen Ländern aufzubauen, sagen einige Expert:innen. Britische Tourist:innen und Investoren könnten vermehrt nach Marokko reisen, marokkanische Produkte, allen voran Lebensmittel, wiederum verstärkt nach Großbritannien transportiert werden. Technische Herausforderung Allerdings dürfte die Fertigstellung des Tunnels, sofern dieser überhaupt umsetzbar ist, noch einige Zeit dauern. Derzeitige Pläne rechnen mit einer Bauzeit von ungefähr 15 Jahren und Kosten von rund sechs Milliarden Euro. Sofern 2030 mit dem Bau begonnen wird, wäre der Tunnel frühestens 2045 fertiggestellt. Zudem musste das Projekt in der Vergangenheit mit einigen Herausforderungen umgehen, weshalb es letztlich auf Eis gelegt wurde: Im Meeresboden unter der Straße von Gibraltar befindet sich einerseits extrem hartes Gestein, was eine Bohrung mit damaligen Mitteln unmöglich machte, und andererseits instabiler Lehmboden, der die Konstruktion ebenfalls erschwert. Eine ursprüngliche Variante des Tunnels, bei der dieser durch die engere, 14 Kilometer lange Meerenge verlaufen wäre, wurde verworfen, da der Tunnel dafür auf 900 Meter Tiefe gebaut werden müsste, wo er extremen Meeresströmungen ausgesetzt wäre. Die Straße von Gibraltar befindet sich zudem in einer Erdbebenzone zwischen der Eurasischen und der Afrikanischen Platte, was die Konstruktion zusätzlich erschwert. Auch aus heutiger Sicht bleibt ein Tunnelbau in dieser Größenordnung und Gegend eine technische Herausforderung, die größer ist "als für jeden anderen Tunnel auf dieser Welt", heißt es von Expertinnen und Experten der Polytechnischen Universität in Madrid, die an dem Projekt beteiligt sind. Aus technischer Sicht wären diese Probleme zwar überwindbar. Ob das Projekt angesichts dieser Hürden jedoch auch wirtschaftlich wäre, ist laut den Experten fraglich. Politische Bedenken Hinzu kommen politische Bedenken: Einige befürchten, dass Migrantinnen und Migranten den Tunnel für die illegale Einreise nach Spanien und Europa nutzen könnten. Denn Marokko werde bereits jetzt als Basis für die von Schleppern organisierte Überfahrt genutzt. Anstatt in kleinen Booten die gefährliche Überfahrt über die Straße von Gibraltar zu riskieren, könnten Menschen versuchen, durch den Tunnel zu laufen oder sich an den Zügen festzuhalten – ein mindestens ebenso lebensgefährliches Unterfangen. Viele Experten halten einen großen Anstieg der Migration aufgrund des Gibraltar-Tunnels jedoch für unwahrscheinlich. Dennoch dürften Ängste vor illegaler Migration nicht gerade zu einer Beförderung des Projekts beitragen. In den kommenden drei Jahren soll ein spanisch-marokkanisches Komitee die Machbarkeitsstudie für den Tunnel abschließen, in der unter anderem die geologischen und technischen Rahmenbedingungen ein weiteres Mal geklärt werden sollen. Erst dann wird sich zeigen, ob das Projekt und die dafür beauftragten öffentlich-rechtlichen Unternehmen beider Länder diesmal tatsächlich jenen Fortschritt bieten können, den sie seit mehreren Jahrzehnten versprechen. gek. Nachdruck: J. Pallinger / Der Standard 27. 1. 2024 Grafik: J. Motschnik / Fotos: Pixabay Noch Zukunftsmusik: Von Madrid in Spanien nach Rabat in Marokko mit dem Direktzug!

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