13 Ausgabe 101 - März 2023 | 150 Jahre Wieserbahn | HISTORISCHE BETRACHTUNGEN kannte die Konkurrenzsituation und beschloss am 28. Februar 1871 selbst eine Anschlusslinie von Lieboch nach Wies zu errichten. Die GKB bemühte sich um eine Konzession und da die Gesellschaft bereits seit 1860 die Graz-Köflacherbahn erfolgreich betrieb, wurde ihr diese am 8. September schließlich erteilt. Da das Projekt zu dem Zeitpunkt baufertig war, konnte am 29. September 1871 bei Kilometer 0,00 in Lieboch mit der kommissionellen Begehung der Trasse begonnen werden. Die Begehung brachte als Ergebnis ein ganzes Buch an Auflagen. Die meisten Punkte betrafen den Bau von Brücken, Durchlässen, Straßen und Bahnübergängen. Aber auch die Ablösung von Gebäuden war Thema und wohl am häufigsten wurde die Neueindeckung der damals strohgedeckten Bauernhäuser mit feuerfesten Schindeln vorgeschrieben. Die ursprünglich angedachte Anbindung von Eibiswald mit seinem Stahlwerk kam, weil von Fuhrwerksunternehmern verhindert, nicht zustande. Trotzdem konnte mit dem Bau noch im Oktober 1871 begonnen werden. Als Bauunternehmer fungierte die Grazer Firma Gebrüder Pongratz, der Großteil der Hochbauten wurden vom Deutschlandsberger Baumeister Pfleger ausgeführt. Die Erdarbeiten, dabei wurden etwa 1,5 Mio. Kubikmeter Material bewegt, aber auch die Errichtung der Hochbauten wurden per Hand ausgeführt. Dabei waren 656 Arbeiter beschäftigt und 24 Pferde im Einsatz. Die Arbeiten schritten so zügig voran, dass die knapp 51 Kilometer lange Bahn nach etwas mehr als einjähriger Bauzeit im November 1872 praktisch fertig war. Am 1. Dezember 1872 fuhr erstmals eine Lokomotive bis Deutschlandsberg und man wollte die Bahnstrecke noch im Dezember desselben Jahres eröffnen. Dann traten aber plötzlich Gebrechen auf, die die Zeitungen von „technischen Schnitzern“ bei Planung und Bau schreiben ließen – der Hang in Leibenfeld geriet ins Rutschen, Dammaufschüttungen setzten sich, Ziegel lösten sich u.s.w. Die erforderlichen Reparaturen zogen sich über den Winter. Am 12. Jänner 1873 erreichte schließlich die erste Lokomotive Wies. Am 3. April 1873 fand die kommissionelle Befahrung statt und da alle Mängel behoben waren, wurde die Strecke für den Verkehr freigegeben. Eröffnung der Wieserbahn Die feierliche Eröffnung erfolgte am 8. April 1873. Der Zug mit den Ehrengästen verließ den Graz Köflacherbahnhof um 7.45 Uhr und erreichte Wies zur Mittagszeit. An allen Bahnhöfen der Wieserbahn gab es große Empfänge mit Böllerschüssen, Musik und Ansprachen. In Deutschlandsberg zelebrierte man einen Ehrenempfang durch „vierzig weißgekleidete Mädchen, deren Führerin den Bahndirektor in gewählten Worten begrüßte“ wie ein Chronist berichtet. Auch die Bevölkerung feierte den Anlass gebührend – die Volksfeste sollen bis in die Morgenstunden gedauert haben, sodass mancher Festgast die Aufnahme des öffentlichen Verkehrs am folgenden Tag direkt miterlebte. Im Laufe der Geschichte blieb die Wieserbahn nicht von Unwetterereignissen und Unfällen verschont. Ein aufsehenerregendes Unglück ereignete sich am 2. Februar 1902 in Deutschlandsberg, als bei einer Kesselexplosion der Lokführer, der Heizer, ein Verschieber und ein Magazineur getötet wurden. Dabei wurde die Lok 151 „Pölfing“ zerstört. Zur Zeit der Eröffnung verkehrten täglich 2 Züge in jede Richtung, deren Hauptzweck der Kohletransport war; die kürzeste Fahrzeit betrug 2 Stunden und 56 Minuten. Heute fahren an Werktagen 21 Züge von Wies-Eibiswald nach Graz, die Fahrzeit beträgt 1 Stunde und 22 Minuten bzw. 1:09 Stunden über Werndorf. Erfolgte die Errichtung der Wieserbahn in erster Linie aus dem Grund, Kohle nach Graz zu transportieren, so ist hier ein enormer Wandel eingetreten – von der Kohlenbahn zur modernen S-Bahn. Wie schon vor 150 Jahren die Errichtung der Dampfeisenbahn bringen heute der Bau Koralmbahn und die begonnene Elektrifizierung der Strecken wichtige neue Impulse. Damit bleibt die Wieserbahn auch in Zukunft, ein wichtiger Lebensnerv für die ganze Region. Text: G. Aldrian / Fotos: Mag. A. Luft & DI E. Franz Dampfloktraktion am Bahnhof Wies-Eibiswald in den 1970iger Jahren
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